
Mit Den Zehen Am Abgrund
Die Crucchis sind deutschsprachige Indie-Musikerinnen und Musiker, die ihre eigenen Songs auf Italienisch singen.
Auch wenn dieses (Musik-)Jahr aufgrund der Corona-Krise völlig verzerrt ist und so manche Top-Veröffentlichung nach diversen Verschiebungen mitten im ungeliebten Sommer auf den Markt geworfen werden musste, bleibt eine Tradition nicht aus: Ab Mitte September begeben wir uns in die heißeste Phase des Jahres, in der die Plattenfirmen Woche für Woche bis kurz vor Weihnachten in rauen Mengen neue Themen in die Läden wuchten, um auch den letzten Muffel dazu zu bringen, sich doch bitteschön noch etwas aus dem reichhalten Angebot zu gönnen.
Insbesondere mit den vielen Luxus- und Vinyl-Wiederveröffentlichungen wird ja eine Menge Kasse gemacht. Es gibt aber auch noch nette, kleine Nischenthemen, die ihr Köpfchen aufmüpfig durch den Wust aus kaltem Kaffee, vorprogrammierten Flops und komplett überteuerten Mega-Box-Sets recken, um zumindest ansatzweise den Faktor „Überraschung“ ins Spiel zu bringen. Eine dieser kleinen Wundertüten ist das Projekt Crucchi Gang, das von Patrick Reising (Tele, Dota), Francesco Wilking (Tele, Die Höchste Eisenbahn) und der Managerin, Produzentin und Ehefrau von Sven Regener (Element Of Crime) Charlotte Goltermann ins Leben gerufen wurde. Die Idee dahinter: Deutsch Indie-Musikerinnen und Musiker singen ihre zumeist eigenen Kompositionen auf Italienisch.
Die hier vorliegende Idee ist grundsätzlich gut und innovativ. Denn es wird sowohl um die Kult-Klassiker Italiens ein Bogen gemacht, als auch darauf verzichtet, deutsche Pop-Hits oder gar Schlager ins Italienische zu transferieren. Auf diese Weise bleibt die Crucchi Gang voll und ganz dem Indie-Gedanken auf der Spur und lässt der Fantasie freien Lauf. So bricht lediglich Francoise Cactus aus dem eigentlichen Schema aus und knüpft sich Trios „Da Da Da ich lieb dich nicht du liebst mich nicht aha aha aha“ vor, das zu „La La La io non ti amo non mi ami aha aha aha“ wird.
Ansonsten liefert die Crucchi Gang jedoch ein hörenswertes Indie-Pop-Album ab, das sich ernsthaft mit der besonderen Stimmung des Italo-Pop auseinandersetzt und damit das Sehnsuchtsland vieler Deutschen mit teutonischer Indie-Songschreiberkunst kreuzt. Dabei besingen Steiner & Madlaina leidenschaftlich „La dolce vita“, während Sven Reger den Element-Of-Crime-Klassiker „Weißes Papier“ in „Carta bianca“ herrlich brummig neu in Szene setzt und Francesco Wilking Bilderbuchs „Bungalow“ in ein wunderbares italienisches Landhaus verwandelt („Il mio bungalow“). Am Ende steht damit ein gelungenes Experiment zu Buche, das sich – zum Beispiel in wechselnder Besetzung – jederzeit fortsetzen ließe.
Anspieltipps: